Fünf Epochenabende befassten sich im Oktober mit 70 Jahren Zuzug und Einwanderung in Wiesloch. Es waren facettenreiche, breit angelegte Info- und Gesprächsabende mit abwechslungsreichen Formaten. So gab es neben einem Impulsreferat immer ein bis zwei Gesprächsrunden und Interviews; ab und zu kamen musikalische oder filmische Einlagen oder kurze Lesungen dazu; in den Pausen und vor und nach der Veranstaltung standen die Referenten immer für Gespräche zur Verfügung.
Viele Betroffene kamen zu Wort, sowohl Menschen mit eigener Migrationssituation als auch Menschen, die diesen Migranten beim Ankommen in Wiesloch geholfen haben. Hier ein kleiner Ausschnitt aus der Vielfalt der Gäste:
Die Heimatvertriebenen kamen als Deutsche zu Deutschen und hatten doch große Schwierigkeiten, nach dem Krieg in einem zerstörten Land Fuß zu fassen. Und doch gab es Unterschiede: Wolfgang Petruschka hatte „nie Probleme in der Schule“, aber Anna Stark hatte schwer zu kämpfen. Birgit Weigelmanns Mutter sei „nach der Flucht aus Ostpreußen nie richtig hier angekommen“.
Die Zeit der Gastarbeiter in den 60er- und 70er-Jahren wurde in einer Ali Tahta wurde als Gastarbeiter von Heidelberger Druckmaschinen angeworben; aus seiner Zeit als Betriebsrat weiß er von seinen Kollegen, dass „die Bedingungen sehr gut für uns Gastarbeiter waren, insbesondere die Gemeinschaftsunterkünfte waren billig und wir konnten Geld nach Hause schicken“. Bernhard Schreier als ehemaliger Vorstandsvorsitzender bei HDM bekräftigte, dass die Firma die Aufträge ohne die fast 40 Prozent ausländischen Arbeiter nicht hätten erfüllen können.
In den 80er- und 90er-Jahren kamen aufgrund der politischen Gegebenheiten viele Russlanddeutsche als Aussiedler und Spätaussiedler nach Deutschland. Pfarrer i.R. Gerhard Engelsberger hatte einen großen Anteil dieser Personengruppe in seiner Gemeinde und setzte sich vehement für eine bessere Unterbringung ein. Anna Pablov und Katharina Repp plädierten aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen im deutschen Schulsystem für intensive Deutschkurse. Man solle ausländische Schüler „nicht zusammensetzen, denn man lernt nur richtig Deutsch, wenn man nicht unter sich bleibt.“
Der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien brachte eine weitere Welle von Flüchtlingen nach Deutschland. Salih Berisha kam als Desserteur aus dem Kosovo nach Deutschland. Glücklicherweise seien die Vorschriften damals noch nicht so streng gewesen, so dass er sich mit allerlei Arbeiten zunächst über Wasser halten konnte, bevor er mit der Hilfe von Einheimischen schließlich zu einem Medizinstudium zugelassen wurde.
Gisela Schulz erzählte, dass sie es als Flüchtling nach dem Krieg zunächst in Baiertal sehr schwer hatte. Deshalb helfe sie schon seit den 90er-Jahren jungen Migranten – trotz manch einer Enttäuschung.
Der Tenor in all den Zeitzeugenberichten:
- Der Kontakt zu Einheimischen von höchster Bedeutung ist. Einerseits müssten die Zugezogenen den Kontakt gezielt suchen, z.B. in Vereinen oder ehrenamtlicher Arbeit, andererseits müssten die Einheimischen offen und hilfsbereit sein, damit „die Neuen“ schnell Fuß fassen.
- Ohne den Einsatz engagierter Menschen ist Integration kaum möglich. Sie wirken auch als Multiplikatoren, wenn sie in ihrem Umfeld über ihren Kontakt zu Migranten erzählen.
- Dadurch wird das Erlernen der Sprache als Grundlage für eine gelingende Integration erheblich erleichtert.
- Vieles wiederholt sich, denn Migration ist so alt wie die Menschheit. Man kann aus der Vergangenheit lernen und die Politik hat Veränderungen herbei geführt, doch trotzdem ist auch vieles durch die Jahrzehnte hindurch immer gleich geblieben – emotional, ideologisch, Gewalt, Vorurteile.
- Integration ist nicht Assimilation. Jeder soll an seinem Hintergrund festhalten dürfen, aber er muss sich dem Ankunftsland ausreichend öffnen, wenn er dauerhaft da bleiben möchte.
Die Epochenabende haben ein weites Themenfeld bearbeitet und konnten trotz ihrer zeitlichen Länge doch nur episodenhaft Beispiele darstellen.
Berechtigt ist die Kritik, dass nur gut integrierte Menschen zu Wort kamen. Das war keineswegs so vorgesehen, doch leider waren die Menschen, die „wenig integriert“ sind und/oder sehr negative Erfahrungen gemacht haben, nicht bereit mitzumachen.
Trotzdem haben die Abende zum Nachdenken und Reden angeregt und hoffentlich auch zum Handeln – was das Ziel der Veranstaltungsreihe war. Die Erfahrungen, die hier in Wiesloch im Laufe der Jahre gemacht wurden, können für die aktuelle Migrationssituation vor Ort hilfreich sein. Wie ein Teilnehmer mit Migrationshintergrund bereits in der Planungsphase sagte: „Warum hat uns bisher noch nie jemand gefragt? So etwas hätte es schon viel früher geben sollen.“
Ich möchte meinen Respekt und Dank für diese Reihe ausdrücken.