Die Schweizer schütteln nur den Kopf

Rhein-Neckar-Zeitung, 10.11.2010

Hermann K. Heußner referierte auf Einladung der Bürgerstiftung Wiesloch über direkte Demokratie

Wiesloch. (pen) In ihrer Reihe mit Informationsveranstaltungen über Nachhaltigkeit hatte die BürgerstiftungWiesloch zu einem Vortrag mit dem Thema „Direkte Demokratie und soziale Nachhaltigkeit“ ins Kulturhaus eingeladen. Der Referent, Hermann K. Heußner war Verwaltungsrichter und ist jetzt Professor für Öffentliches Recht und Recht der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Osnabrück. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur direkten Demokratie in Deutschland, den USA sowie der Schweiz und hat vor Kurzem gemeinsam mit Otmar Jung sein Grundlagenwerk „Mehr direkte Demokratie wagen“ in der zweiten Auflage herausgegeben.

In einer Einführung ins Thema erklärte Wolfgang Lehner, Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung, dass viele Bürger politikverdrossen und mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden seien. Sie spürten politische Ohnmacht und fühlten sich zunehmend einer kleinen Elite von Finanzakteuren, Wirtschaftsführern und Politikern ausgeliefert. Er nannte unter anderem Stuttgart 21 als Beispiel. Direkte Demokratie wirke diesem Erosionsprozess entgegen. Sie helfe, die Ohnmacht der Bürger zu überwinden, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken und das zivilgesellschaftliche Engagement zu fördern.

Eine Vorreiterrolle in Bezug auf die direkte Demokratie spiele das Bundesland Baden-Württemberg, das bereits 1956 auf kommunaler Ebene Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingeführt habe, erklärte Hermann Heußner. Zu Beginn seines Vortrags stellte er die Frage nach dem Maßstab einer Demokratie. Sie messe sich zum einen anhand der Selbstbestimmung des Volkes nach Mehrheitsregelung sowie der Freiheit und Gleichheit aller Bürger. Unsere Demokratie erfülle diese Maßstäbe nicht immer. „Es gibt viele Entscheidungen in der Politik, die nicht dem Wunsch der Bevölkerung entsprechen“, so Heußner und nannte als Beispiel die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken.

Das liege auch am strukturellen Mangel vonWahlen, die nach dem Prinzip „alles oder nichts“ den Bürgern nur erlaubten, ein ganzes Programmpaket zu wählen statt einzelner Punkte. Damit bestehe die Gefahr der Unverbindlichkeit. Die Politiker glaubten, dass Wahlversprechen nicht eingehalten werden müssten und es vollkommen genüge, einzelne Aspekte aus dem Paket zu realisieren. Das führe zu einer immer stärker werdenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Nach neusten Umfragen seien zwischen 57 und 74 Prozent der Menschen in Deutschland derMeinung, dass sie keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Regierung haben, berichtete Heußner. Abhilfe könne hier nur ein Volksentscheid auf Bundesebene schaffen.

Als positives Beispiel für das Funktionieren einer solchen direkten Demokratie nannte er die Schweiz und die USA (auf Ebene der Bundesstaaten), die schon lange die Volksgesetzgebung praktizierten. Umfragen hätten ergeben, dass 77 Prozent der Schweizer glauben, dass die direkte Demokratie zu einer stabileren Politik führe. Die positive Wirkung zeige sich auch durch eine finanzielle und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. „In der Schweiz wird auch nicht ständig etwas verhindert, sondern auch einiges auf den Weg gebracht, wie jetzt der neue Gotthard-Tunnel“, so der Referent. Damit würden Projekte realisiert werden, hinter denen auch die Bevölkerung stehe,was alles viel einfacher mache. „In der Schweiz schütteln sie im Moment nur den Kopf, wenn sie die Demonstrationen in Stuttgart sehen“, berichtete Heußner.

In der anschließenden Diskussion ging es unter anderem auch um einige in der Bevölkerung kontrovers diskutierte Projekte in Wiesloch wie Einkaufszentrum und Parkhaus am Bahnhof. Hierzu wollte sich der Referent jedoch nicht äußern, da ihm dazu die Sachkenntnis fehle. Er gab jedoch den Rat, die Bevölkerung bei künftigen Projekten frühzeitig in die Planung zu integrieren. „Die Menschen sind dann informierter und springen nicht mehr auf jedes Schlagwort an“, sagte Hermann Heußner.

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